
„Die Elenden“, der berühmte Roman von Victor Hugo vor dem Hintergrund von Armut und Unterdrückung im Frankreich des 19. Jahrhunderts kann nur bedingt als Vorlage für die gegenwärtige miserable Herrschaft der Europäischen Union dienen, weil deren Mediokrität nicht nur ihrer moralischen Verworfenheit, sondern vielmehr ihrem intellektuellen Niedergang geschuldet ist.
Es hatte der Intervention des umstrittenen US-Präsidenten bedurft, um einige gängige Stereotype über den Krieg in der Ukraine zu relativieren, auch wenn der grosse Dealmaker, mit dem Hinweis auf 2000 tote Soldaten wöchentlich, seine Absicht, den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden, klarerweise nicht umsetzen konnte. Das mit den Toten sehen die Ukraine und auch die Europäische Union nämlich viel entspannter.
Zu verfahren ist die Situation inzwischen. Russland beharrt auf der Annexion der Krim und des Donbass sowie des Verzichts auf die Aufnahme der Ukraine in die NATO, die Ukraine auf der Unverletzlichkeit ihres Territorums. Beides gleichzeitig ist nicht zu haben.
Historiker*innen unterscheiden bei der Analyse von Konflikten zwischen der Vorgeschichte beziehungsweise den Gründen für einen Krieg und dem unmittelbaren Anlass. Es ist verständlich, dass eine derartige Differenzierung der europäischen Politik und deren medialer Propaganda nicht zugänglich ist, bräuchte es dazu doch intensive Selbstreflexion der eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten. Insofern ist das von der EU initiierte Ukraine-Tribunal zur strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen ein geeigneterer Rahmen, nicht nur die russische Aggression gegen die Ukraine zu thematisieren, sondern auch die europäischen Beitragstäter*innen zu identifizieren.
Die Wurzeln des Konflikts reichen bis in die 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts mit dem Ende des Kalten Krieges und der Implosion der Sowjetunion sowie der Auflösung des Warschauer Pakts. Schon bald nach der EU-Erweiterungsrunde mit dem Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands begann ein intensives Werben für eine Erweiterung der Europäischen Union bis zur Ukraine, an der sich auch österreichische Lobbyisten beteiligten.1)
Während die EU-Erweiterung relativ friktionslos vonstatten ging, waren die im Zuge der deutschen Wiedervereinigung gegebenen schriftlichen oder mündlichen Zusagen an die Sowjetunion und deren Sicherheitsinteressen hinsichtlich der NATO-Osterweiterung von Beginn an eine Geschichte nicht eingehaltener Versprechungen, ständigen Lavierens und Strategiewechsel bis hin zum eingestandenen schweren Verrat der ehemaligen deutschen Kanzlerin, nach dem Maidan-Putsch die Verhandlungen zum Minsker Friedens-Abkommen dafür missbraucht zu haben, um der Ukraine Zeit zu verschaffen. Verständlich, dass Russland nach den Erfahrungen mit Nazi-Deutschland solche Haltungen etwas enttäuschend findet.
Noch vor Beginn des Krieges hatte der NATO-Generalsekretär auf Vorschlag Russlands den NATO-Russland-Rat reaktiviert, in dessen Verlauf Russland eine weitere Osterweiterung der NATO und die Stationierung von NATO-Waffen in der Nähe Russlands dezidiert ausschloss. Ungeachtet dessen hielt die NATO an der Beitrittsperspektive für die Ukraine fest. Der Rest heisst „militärische Spezialoperation“.
Der amerikanische Präsident hat nun verstanden, dass der Verzicht auf einen NATO-Beitritt der Ukraine ebenso wie die Aufteilung der Ukraine entlang ihrer ethnischen Grenzen, wie von der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten mittels Referenden abgestimmt, die einzige realistische Konsequenz für die von ihm angestrebte Verhandlungslösung ist.2)
Aber die Europäer wollen keinen Frieden, der die Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigt. Russland seinerseits bombardiert die Ukraine mit Drohnen ohne Unterlass, ohne eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeiführen zu können. Die Ukraine wird die okkupierten Gebiete ihrerseits selbst im nächsten Jahr nicht rückerobern können, geschweige denn den „Siegesplan“ des Präsidenten verwirklichen. Der Krieg wird also noch eine Weile weitergehen, ehe er sich zu einem „richtigen“ ersten Europäischen Krieg entwickelt.
Ein potentieller Rückzug des frustrierten US-Präsidenten käme zu früh, um das amerikanische Waffenpotential zu substituieren, weshalb es für die millliardenschwere Aufrüstung Europas noch einige Zeit und auch finanzielle Opfer der Bevölkerung brauchen wird. Aber Ende der zwanziger Jahre wird die Zeit gekommen sein, um den deutschen Nationalismus ins Recht zu setzen. Der deutsche Kriegsminister hat schon mal sein Schwert aus der Weltesche gezogen und die erste Brigade mit 4800 Soldaten dauerhaft in Litauen stationiert mit dem Ziel der Stärkung der Ostflanke der NATO.
Auch der neue deutsche Kanzler ist an einer Reichweitenbeschränkung deutscher Waffen für die Ukraine nicht mehr interessiert, benötigt man doch für Wachstum einen richtig grossen Krieg zwischen Herren- und Untermenschen.
Inzwischen verabschiedete die EU noch schnell das 17. Sanktionspaket gegen die russische Schattenflotte für den Transport von Öl und Ölprodukten inclusive des Verbots der Reparatur der North-Stream-Pipeline. Nicht ganz einverstanden ist mit der Vorgangsweise der Kommissionspräsidentin deren Parteikollege, der Ministerpräsident Sachsens, der sich für eine Wiederinbetriebnahme der Ostseepipelines aussprach. Die Produktionskosten in Deutschland seien zu hoch. „Ich warne seit langem vor einer Abwanderung von Firmen, die bei uns tatsächlich beginnt. Die Frage der Energiepreise ist dabei so zentral, die kann man nicht beiseiteschieben.“ (STERN.de, 2025-05-25), meinte der Mann der Praxis vergeblich, denn die Kriegsflüsterer der EU halten an ihrem Kurs fest und glauben an die Logik des ReArm Europe.
Irgendwann wird man die deutsche Bevölkerung, die laut Umfragen im Gegensatz zur politischen Nomenklatura den Krieg nicht so sehr liebt, von der Notwendigkeit und Schönheit eines „richtigen“ europäischen Krieges überzeugt haben. Dafür sorgt schon die einfältige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche mit ihrem Lob der Kriegstüchtigkeit „Waffen für Ukraine sind Plicht christlicher Nächstenliebe“ (X, 2025-04-21).
Und während die Ukraine Zehntausender gefallener Soldaten gedenkt, treffen die heiligen drei Könige Frankreichs, Grossbritanniens und Deutschlands, die Repräsentanten der von Medien als „Koalition der Willigen“ bezeichneten dystopischen Allianz, zur Weltkriegsfeier in Kiew ein, um jegliche Friedensbemühungen zu torpedieren, im Gedenken an den Jesus von Matthäus (Mt 26) zugeschriebenen Satz „Das Fleisch ist willig, aber der Geist ist schwach.“
Statt wirtschaftlicher Kooperation und Prosperität ein nationalistisches Europa der Miserabeln!