Die Eisernen

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Der Standort bestimmt oft den Standpunkt, vor allem in der Kunst. So ist es nicht verwunderlich, dass die Installation „Another Place“ des renommierten englischen Bildhauers Antony Gormley nach einigen Ausstellungsorten schliesslich 2005 an der Mündung des River Mersey seine permanente Heimat gefunden hat, nachdem sich die Bevölkerung dem von der Stadtverwaltung geplanten Abbau der 190 eisernen Figuren erstaunlicherweise widersetzt hatte, die seither den weiten Horizont der Irischen See geniessen.

Ein anderes Schicksal widerfuhr hingegen den von Gormley 2010-2012 ins Land vor dem Arlberg auf exakt 2.039 m über Meereshöhe gestellten 100 lebensgrossen Eisenmännern des Projekts „Horizon Field“, die, über eine Fläche von 150 km2 verteilt, auf die wunderbaren Berge des Ländle schauten. Selten wurden nämlich Horizontfragen so eindringlich formuliert wie anlässlich der vom Kunsthaus Bregenz gemeinsam mit Gormley initiierten Landschaftsinstallation, die bald begeisterte Wanderer fand, die vor den Figuren für Fotos und die Vorarlberger Tourismuswirtschaft posierten, anderseits aber derart radikale Ablehnung provozierte, dass unbekannte Täter einen der 640 kg schweren Eisenmänner samt Fundament ausgruben, dessen Abtransport aber scheiterte, nachdem der Koloss einen Hang hinuntergekollert war.

Im Jahr danach bemächtigten sich „Kunstkritiker“ sogar des Geschlechtsteils eines Eisernen, der danach etwas irritiert in die Landschaft blickte. Die unverzüglich eingesetzte SOKO Ländle war sich rasch sicher, dass es beim Attentat nicht um eine brutal vergegenständlichte Form von weiblichem Penisneid gehe, womit von vornherein die Hälfte der Vorarlberger Bevölkerung ausgeschlossen werden konnte, sondern dass der Täter als ein Gefangener seiner Kastrationsangst gehandelt habe. Für eine männliche Täterschaft sprach nämlich der erhebliche Kraftaufwand, mit dem der Täter dem Gemächt des stolzen Eisernen nicht mittels Winkelschleifer, wie ursprünglich angenommen, sondern mühsam mit einer Handeisensäge zu Leibe rückte und dabei sogar einmal das Sägeblatt wechseln musste, wie die Polizei zu vermelden wusste.

Nach zwei Jahren war es vorbei. Bloss ein Eiserner hält seither die Erinnerung an seine Kollegen wach, die bald danach über den grossen Teich nach Rio de Janeiro reisten, wo sie stumm auf das rege Treiben der Copacabana blickten.

Aber die Botschaft Antony Gormleys, „Kunst und Kultur als integralen Teil der Natur zu begreifen“ lebte weiter und fand enthusiastische Unterstützer im Verein „Horizon Field“, der sich seit längerem ungeachtet der zahlreichen Behördenverfahren und Verhandlungen mit Grundstücksbesitzern um eine Wiederaufstellung der Eisenmänner bemüht. 

Auf der anderen Seite schwärte die Provokation in den offenen Wunden Vorarlberger Naturschutzmystiker im Lager des Alpenvereins, der Naturfreunde, des Imkerverbandes, der um seine Bienen fürchtet, und sogar der Naturschutzanwaltschaft, die alle einen titanenhaften Abwehrkampf mittels Behördenverfahren gelobten, um die „unnötige Möblierung und Inszenierung der Landschaft“ zu verhindern.

Als der letzte Eiserne hoch über Lech die profunde Zivilisationskritik vernahm und auf seine Nachbarn blickte, ertönte homerisches Gelächter, sodass sich seine stählernen Artgenossen, die Seilbahnstützen und Sprühlanzen der Beschneiungsanlagen, vor Lachen bogen.