„Dieses Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Lebenswerk, das Werk meines Lebens.“, schreibt der renommierte Ökonom Heiner Flassbeck im Vorwort seines neuen Buches „Grundlagen einer relevanten Ökonomik“. Flassbeck, von 2003 bis 2012 Direktor der Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien bei der UNCTAD (United Nations Trade and Development) in Genf, analysiert darin nicht nur die „Einhundert Jahre ökonomischer Irrungen und Wirrungen“ seit der Grossen Depression von 1929 bis 1933, sondern auch den Weg, der aus diesem Grund zu seiner Emanzipation von der herrschenden neoklassischen Ökonomie geführt hat.
Flassbecks Summa Oeconomia dekonstruiert die herrschenden Dogmen, macht verständlich, weshalb man bei der Ursachenforschung im Zuge der grossen Krise 1933 steckengeblieben ist, nachdem mit der Gleichgewichtsökonomie der Neoklassik keinerlei Erkenntnisgewinn zu erzielen ist, und verweist deren mathematische Modelle und Theorien wie jene von den komparativen Kostenvorteilen oder der Effizienz der Kapitalmärkte ins Reich der Irrelevanz.
Seine Ökonomie orientiert sich eher am österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter und dessen „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“, die anstelle der stationären Betrachtung eines allgemeinen Gleichgewichts ein dynamisches Modell der Entwicklung ökonomischer Prozesse aufstellt, weil es den stationären Gleichgewichts-Marktplatz nicht gibt.
Es ist nicht sehr beruhigend, wenn man, wie von Flassbeck anschaulich dokumentiert, die Grosse Depression noch nach hundert Jahren unverstanden weiss und dieselbe Lehre auch heute den Mainstream an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten beherrscht und, davon beeinflusst, die Politik berät, die beginnend mit den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss der neoliberalen Religion den Abbau des mitteleuropäischen Sozialstaats zur ökonomischen Notwendigkeit erklärt hat.
Die Religionswächter der Troika von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission und ihr wichtigster politischer „Berater“, der deutsche Finanzminister, die „schwäbische Hausfrau“, konnten sogar, wie das Beispiel Griechenland zeigt, erstmalig eine massive Lohnsenkung mit verheerenden sozialen Folgen und einer Arbeitslosigkeit von fast 30% für ein entwickeltes Land der EU und Mitglied der Europäischen Währungsunion (EWU) durchsetzen, während Deutschland aufgrund des Lohndumpings zu Beginn des Jahrtausends seinen realen Wechselkurs de facto innerhalb der EWU abgewertet und damit nach der Finanzkrise 2008 seine Wettbewerbschancen deutlich verbessert hat.
Die Bemühungen, die Staatsverschuldung zu verringern und die Quote auf 60% des BIP gemäss den EU-Konvergenzkriterien zu drücken, ist signifikant bloss Deutschland und den Niederlanden aufgrund ihrer Leistungsbilanzüberschüsse dank der grosszügigen Verschuldung des Auslandes gelungen, während die meisten osteuropäischen und baltischen Staaten zwar ihre Staatsverschuldung niedrig halten konnten, für ihre schwache Wirtschaftsdynamik aber einen hohen Preis bezahlen mussten und sich mit starker Abwanderung ihrer aktiven Bevölkerung konfrontiert sehen.
Die Schuldenquoten der EU insgesamt und insbesondere Österreichs sind aufgrund der Coronakrise und der Energiekrise als Folge der aberwitzigen Sanktionspolitik der EU nach wie vor hoch geblieben. Eine Arbeitslosenquote von fast 7%, die offensichtlich niemanden mehr aufregt, bei einer schon länger anhaltenden und sich vertiefenden Rezession vor allem in Industrie und Handel ist nicht das, was ein Finanzminister gemeinhin als nachhaltige Wirtschaftspolitik versteht, weshalb sich der österreichische gleich rechtzeitig ins Reich der sorglosen EU-Kommission vertschüsst hat.
Diese wäre gut beraten, sich anstelle von Strategien für Militärhilfe lieber mit der Problematik der Staatschulden und ihrer Bewältigung in der gesamten EU auseinanderzusetzen. Heiner Flassbecks Buch lieferte dazu eine detaillierte Analyse der ökonomischen Theorie samt umfangreichem statistischen Material.
Ein lesenswertes Buch nicht nur für Ökonom*innen!