Im Schockraum

Schockraum©Sven Simon/Wikimedia Commons

Nur wenige kennen ihn. Das medizinische Personal natürlich. Niemand möchte in die Lage kommen, ihn zu kennen, aber trotzdem lässt er sich nicht immer vermeiden, der Schockraum.

So geschah es vor vielen Jahren, dass ein beliebter Politiker sich im Zustand leichter Alkoholisierung mit seinem Auto etwas zu schnell ins Jenseits katapultierte, worauf selbst im Schockraum nichts mehr zu machen war. Dessen Jünger jedoch fielen sogleich in einen tiefen Schock, einer von ihnen meinte sogar, dass die Sonne vom Himmel gefallen sei.

In solchen Fällen hilft der Schockraum nur wenig, eher die Aufarbeitung des Traumas durch therapeutische Hilfe.

Einen anderen, exogenen Schock erlebten jüngst die europäischen politischen Eliten. Nicht dass sie Krieg und Elend traumatisiert hätte, viel Schlimmeres war geschehen.

Da hatte der Präsident der Vereinigten Staaten in aller Öffentlichkeit vor laufenden Kameras seinen ukrainischen Amtskollegen zurechtgerückt, dass des Staunens kein Ende war. 

Tage zuvor schon hatte Donald Trump auf der Plattform Truth Social den ukrainischen Präsidenten am 19. Februar 2025 als bescheiden erfolgreichen Komödianten bezeichnet, der die USA überredet habe, 350 Milliarden Dollar auszugeben, um in einen Krieg zu ziehen, der nicht zu gewinnen ist und nie hätte begonnen werden dürfen. Noch dazu habe der „Diktator ohne Wahlen“ zugegeben, dass die Hälfte des von den USA gespendeten Geldes „missing“ sei, also fehle. Es sei nicht zu verstehen, weshalb Sleepy Joe das Geld ohne Gegenleistung gespendet habe. Europa sei mit seinen Versuchen, Frieden zu stiften, gescheitert, und Zelenskyj habe einen schrecklichen Job gemacht, meinte der „Dealmaker“ in seinem Statement.1)

Deshalb sei es allzu verständlich, sich im Gegenzug für die Unterstützung der Ukraine die Kohle zurückzuholen oder besser jene Seltenen Erden, die dringend für Schlüsseltechnologien in der Medizin, für Katalysatoren, Brennstoffzellen, LEDs, Laser und noch vieles andere mehr, benötigt werden.  

Zu diesem Zweck traf man sich also im Weissen Haus, um Grundsätzliches zu klären und einen „fairen Deal“ auszuhandeln2), was aber nicht wie vorgesehen klappte. Mit dem Hinweis auf die 2000 Soldaten, die Woche für Woche sterben, und dass er, Zelenskyi, mit dem Leben von Millionen von Menschen und dem Dritten Weltkrieg spiele, eskalierte das Gespräch immer mehr. „Ich glaube, es ist gut, dass die Amerikaner sehen, was hier passiert. Deshalb habe ich das auch so lange hier laufen lassen. Sie müssen dankbar sein…Ihre Leute sterben, Ihnen gehen die Soldaten aus… Und dann sagen Sie ‚Ich will keinen Waffenstillstand…‘ Er (Putin) will ein Abkommen. Ich weiss nicht, ob Sie ein Abkommen wollen…In Ordnung, ich denke, wir haben genug gesehen. Was meinen Sie? Grosses Fernsehen. Das muss ich sagen.“, meinte Trump und warf den kleinen narzisstischen Diktator aus dem Weissen Haus.

Schnappatmung setzte ein. Im Nu waren sämtliche Schockräume Brüssels ausgelastet. Der Schock sass tief, weniger wegen des nicht zustande gekommenen „Deals“. Das hochinfektiöse, für Bewusstseinstrübungen verantwortliche Virus „Morbus belli“ hatte jahrelang und nachhaltig den präfrontalen Kortex beschädigt, und mit einem Schlag sah sich die ganze Feindbildkonstruktion der EU desavouiert. Die mühsam über Jahre aufgebaute Propaganda zusammengebrochen wie ein Kartenhaus.

Aus der Schockstarre zurück in der Balance versicherte der polnische Ministerpräsident dem ukrainischen Volk sogleich seine Solidarität. „Sie sind niemals allein, lieber Präsident Zelenskyj“, schmachtete die verliebte EU-Kommissionspräsidentin, während die estnische EU-Aussenbeauftragte diagnostizierte, dass die freie Welt einen neuen Anführer brauche, ein Urteil, das aufgrund der Grössenverhältnisse zwischen den USA und Estland niemand teilen mochte ausser dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Schüssel, der sie für ein Talent hält.

Die Zweifel an der EU-Kommission und deren Handlungskompetenz mehren sich allerdings, hatte diese doch vor einiger Zeit nicht einmal das nach einer Volksbefragung simple Problem einer Beendigung der europaweiten Zeitumstellung auf Normalzeit/Sommerzeit lösen können.

Andere europäische Führer wiederum wie der britische, dessen Staatsvolk lieber die Europäische Union verlassen hatte, oder der französische bringen sich indessen als Hüter einer Friedenstruppe ins Spiel, sollte es zu einer Waffenruhe in der Ukraine kommen, wogegen der US-Präsident und auch der russische Präsident keinen Einwand hätten, wie Trump mitteilte, möglicherweise aber das französische Volk, das nach dem grandiosen Scheitern des afrikanischen Abenteuers der französischen Friedenstruppe in Mali seinen Präsidenten und dessen Partei bei den Wahlen zur Nationalversammlung nicht mehr wirklich überwältigend unterstützt hat.

Einen ähnlichen Rückschlag hatte auch der ukrainische Präsident erlitten, als anlässlich einer Sondersitzung des ukrainischen Parlaments eine Resolution zu seiner Unterstützung vor den Augen der ausländischen Festgäste anlässlich des dritten Jahrestages der russischen Invasion auch mit den Stimmen der eigenen Partei gescheitert war. (ORF.at, 25.02.2025)

Also entschied sich der „Diktator ohne Wahlen“ nach kurzer Bedenkzeit von zwei Tagen und dem Einstellen der amerikanischen Militärhilfen mit dem Ausdruck des Bedauerns dann doch dafür, dass es besser sei, auf einen Frieden hinzuarbeiten, als die Kohorte der 18- bis 24-jährigen als letztes Aufgebot an die Front zu schicken, bedankte sich höflich für die Unterstützung Washingtons und sicherte die Bereitschaft zu, das Rohstoffabkommen mit den USA jederzeit abzuschliessen. (ORF.at; 05.03.2025)

Wie in diesem Zusammenhang der Vorschlag der Kommissionspräsidentin Von der Leyen vom Tag zuvor zu beurteilen ist, 800 Milliarden Euro für die europäische Aufrüstung zu mobilisieren und dafür die Schuldenregeln der Union zu lockern, ist noch nicht ganz klar. Aber jetzt sei der Moment, „um Verantwortung zu übernehmen.“ (Der Spiegel, 04.03.2025), hatte die Verantwortungsvolle noch kurz vor Zelenskyjs Canossagang geschwatzt. 

Es gibt schliesslich noch Grönland!

1) https://x.com/realDonaldTrump/status/1892242622623699357

2) https://www.welt.de/politik/ausland/video255574726