„Wir haben unsere Planung damals auf ein 100-jährliches (sic!) Ereignis ausgelegt, nun ist aber ein Ereignis eingetreten, das höchstens alle 300 Jahre vorkommen sollte“, erklärte die Vorständin der ÖBB-Infrastruktur AG ihre Probleme mit der Hochwasser-Katastrophe Ende September und spricht von einem Schaden im dreistelligen Millionenbereich, ganz abgesehen vom wirtschaftlichen Schaden, der durch die monatelange Sperre der Hochleistungs-Strecke zwischen Wien und St. Pölten entstanden ist.
Zwar ist nicht ganz verständlich, warum man die Planungen auf ein 100-jähriges Hochwasser ausgerichtet hat und nicht auf ein 300-jähriges, wie es die Karten des Risk Assessment Austria des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft für den grössten Bereich des Tullnerfeldes ausweisen, aber klar ist, die derzeitigen Entscheidungsträger*innen im Konzern und der Politik kann man für das Elementarereignis nicht verantwortlich machen.
Klar ist aber auch, die Donau ist kein Maibachl, jene zauberhafte Thermalquelle am Fusse des Dobratsch in Villach, die normalerweise bloss im Frühjahr bei der Schneeschmelze oder nach starken Regenfällen mit 29° sanft aus dem Berg sprudelt.
Wenn man also eine Hochgeschwindigkeitsbahn in einer Hochwasserrisikozone HQ 300 in tiefer gelegter Trasse mit Tunneln baut, kann das nicht technischem Unverständnis geschuldet sein, sondern muss andere Gründe haben, zumal die Weststrecke und auch die Südstrecke über den Semmering zum Planungszeitpunkt schon 150 Jahre Jahre alt waren, weshalb allein deshalb eine Orientierung an einer längeren Betriebsdauer eine ebenso lange Absicherung gegen Naturereignisse zwingend notwendig macht.
Des Rätsels Lösung findet man wie so oft in der Geschichte, wenn man genügend tief gräbt wie bei einer Tieftrasse.
Schon die Kuenringer, ein altes Ministerialengeschlecht mit Wurzeln in Sachsen, die im 11. Jahrhundert ins Gebiet des heutigen Niederösterreich gekommen waren und bekannt waren für ihre Aufmüpfigkeit, haben den herrschenden Habsburgern das Leben stets schwer gemacht, ehe sie Ende des 16. Jahrhunderts ausstarben. Ihr Ruf als unerbittliche Raubritter hat sich aber unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt ebenso wie wie die Furcht vor ihnen, weshalb die Eisenbahn in der Habsburger-Monarchie unter anderem für die Aufmarschpläne der K.u.k. Armee eine grosse Bedeutung spielte.
Das Eisenbahnprogramm der Monarchie in der ersten Phase sah zunächst einmal die Errichtung der Nordbahn und die anspruchsvoll trassierte Südbahn über den gebirgigen Semmering und durch das Laibacher Moor, das mittels Aufschüttung überwunden werden musste, vor. Das Projekt einer Westbahn wurde zunächst eher nachrangig betrieben.
Nachdem sich das demokratische Österreich nicht nur der Habsburger, sondern auch derer Aussenfeinde entledigt hatte, traten an deren Stelle nun die neuen Ministerialen, die im Volksmund als „Landesfürsten“ bezeichneten Landeshauptleute, die ihrem jeweiligen Lehensherrn, dem Bundeskanzler und seinem Kabinett stets das Leben schwer machten.
Besonders im Reich der Kuenringer, in Niederösterreich, zeitigten die Kämpfe der virtuellen Nachfolger, der Pröll, Sobotka und ihrer Kumpane schwerwiegende Folgen. Nicht nur wurde viele Jahre dem Fetisch Strassenbau gehuldigt, als dessen glanzvolles Zeichen die Erwin-Pröll-Gedächtnis-Schnellstrasse über den Semmering gilt, während der für die Südbahn zentrale Semmering-Basistunnel der ÖBB jahrzehntelang verzögert wurde.
Beginnend schon mit den 50-er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden mehrere Varianten eines Bahntunnels unter dem Semmering entwickelt, ehe 1989 das erste, fünf Kilometer kürzere, Basistunnel-Projekt eingereicht und 1994 genehmigt, allerdings jahrelang immer wieder rechtsbeugend mittels Bescheide niederösterreichischer Behörden verzögert wurde, ehe eine Neuprojektierung beschlossen wurde, die nach zahlreichen wasserrechtlichen Einwänden bezeichnenderweise als „Pfaffensattelvariante“ durchgesetzt wurde und in einem langen Bogen 27 km lang den Semmering unterquert, wobei sich die Geologie dort als viel schwieriger als jene der ersten Variante erwiesen hat, weshalb sich die Eröffnung des Tunnels nicht vor 2030 ausgehen wird.
Ähnliche Auswüchse föderalistischer Kleinstaaterei nötigten die ÖBB de facto zur tiefgelegten Trassenvariante mit den Tunnels quer durch das Inundationsgebiet der Donau, die sogenannte „In-der-schönen-blauen-Donau-Variante“.
Dabei hätte man durchaus respektable internationale Vorbilder gehabt wie etwa die SNCF, die „Societé Nationale des Chemins de fer Français“, die ihre Trassen für den TGV, der in drei Stunden von Paris nach Marseille braust, auch nicht ins Flussbett des Rhône gebaut haben.
Oder gar die 1320 km lange Schnellfahrstrecke zwischen Beijing und Shanghai, für die nach ersten Planungen 2000 die Grundsatzentscheidung für die Schiene anstatt einer Magnetschwebebahn erst im Januar 2004 fiel, die Baugenehmigung 2007 erteilt und im Januar 2008 der Spatenstich gefeiert wurde. Seit der Eröffnung dreieinhalb Jahre nach Baubeginn (!) im Juni 2011 verbinden die Züge in viereinhalb Stunden die beiden chinesischen Grosszentren über eine Trasse, von denen 1140 km aufgeständert über Brücken führen.
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Nix für Kuenringer, aber die Hanni ist im Unterschied zu ihren listigen männlichen Herdentieren wenigstens nett.