Futterfragen

Die Europäische Union mit Georgien©wikipediacommons

Das neue Jahr begann, wie das alte geendet hatte. 

Statt buntem Silvesterfeuerwerk Explosionen von Kampfdrohnen und Raketen in den Städten der Ukraine mit zahlreichen Toten und Verletzten. 

Statt Beendigung des Krieges weitere militärische „Hilfspakete“, Marschflugkörper und Artilleriemunition. Er wolle sein Land unter die zehn grössten Rüstungsproduzenten der Welt führen, sagte der Präsident. Das klingt sehr ambitioniert, hatten doch die Militärausgaben mit 44 Milliarden US-Dollar bereits 2022 ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts bzw. des gesamten Staatshaushaltes erreicht, der mittlerweile zur Gänze von den externen Haushaltshilfen der EU, USA, Japans, Kanadas, Grossbritanniens, der Weltbank und des Int. Währungsfonds finanziert wird.

Dazu fehlen der Ukraine nicht nur Millionen von Menschen, die seit Beginn des Krieges in das europäische Ausland geflüchtet und dort wegen ihrer hohen Qualifikation sehr geschätzt sind, weshalb deren Rückkehr bei Fortdauer des Krieges sehr ungewiss ist, sondern auch Hunderttausende potentielle Soldaten, die kurz vor Weihnachten mittels Mobilmachung rekrutiert werden sollten; notfalls auch aus dem Ausland, ein Ansinnen, dem Deutschland bereits eine Absage erteilt hat.

Dieses Personalproblem zu lösen, wird also schwierig, zumal sich die patriotischen Herausforderungen im Bunker von Kiew anders darstellen als an der Front, weshalb sich viele junge Ukrainer dem tausendhaften Sterben lieber durch massenhafte Flucht entziehen, als den Kanonen als Futter zu dienen.

Eine Flucht ganz anderer Art plant hingegen der gegenwärtige EU-Ratspräsident Charles Michel, der ständigen Kriegsrhetorik und der eitlen Selbstdarstellung überdrüssig, und sucht sich lieber einen ruhigeren Futterplatz als EU-Parlamentarier, ein wenig wohl der Tatsache geschuldet, dass langsam dämmert, dass die Folgen der EU-Propaganda nicht immer so erfreuliche Ergebnisse zeitigen könnten.

Der Futterfragen nicht genug hatte die Europäische Union überraschend neben der Ukraine und Moldau noch knapp vor Weihnachten auch Georgien den Status als Beitrittskandidat verliehen. Das verdient aus vielerlei Hinsicht Beachtung. Zum einen sind derzeit Teile Georgiens von Russland besetzt, womit die EU neben der Ukraine eine zweite Front gegen Russland eröffnet, zum anderen liegt Georgien geographisch definitiv nicht in Europa, ein Faktum, das 1987 noch zur Ablehnung Marokkos als Beitrittskandidat geführt hat und stets ein wichtiges Argument für die jahrelange Verhinderung des Beitritts der Türkei war, dessen Territorium bloss zu 3% in Europa liegt, noch dazu ein vorwiegend muslimisches Land ist und damit nicht dem christlichen Abendland zugehörig.

Nichts spiegelt die wechselvolle Geschichte Georgiens besser wider als die Karriere eines seiner Präsidenten. Nach dem Studium für Rechtswissenschaften in Kiew und Studien in den USA, wo er auch als Anwalt arbeitete, kehrte Micheil Saakaschwili auf Ersuchen des damaligen Präsidenten Schewardnadse 1995 zunächst als Parlamentarier nach Georgien zurück, ehe er im Zuge der Rosenrevolution seinen ehemaligen Mentor wegputschte und 2004 selbst zum Präsidenten gewählt wurde. Mit einer rigiden Politik des Bürokratieabbaus bzw. Entmachtung der alten Eliten und wirtschaftlicher Liberalisierung wurden ausländische Investoren ins Land geholt und Korruption, sprich die Opposition, energisch verfolgt.

Nach diversen Skandalen, dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs, der von ihm provozierten Militäroffensive gegen die abtrünnige Provinz Südossetien und seiner Niederlage bei der Parlamentswahl 2012 emigrierte er schliesslich 2013 in die USA, während die georgische Generalstaatsanwaltschaft in Abwesenheit Untersuchungshaft gegen Saakaschwili anordnete und ihn auf die Fahndungsliste setzte, ehe ihn der ukrainische Präsident Poroschenko 2015 zunächst zum Regierungsberater und schliesslich sogar zum Gouverneur von Odessa ernannte, wofür Saakaschwili einen Tag zuvor die ukrainische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, worauf ihm noch im gleichen Jahr die georgische Staatsbürgerschaft entzogen wurde.

Die Tätigkeit als Korruptionsbekämpfer und Reformer dauerte jedoch nicht lange. Schon ein Jahr später reichte Saakaschwili seinen Rücktritt wegen mangelnder Unterstützung ein, ehe ihm Staatspräsident Poroschenko die ukrainische Staatsbürgerschaft entzog, womit der Umtriebige staatenlos wurde. Nach einem Aufenthalt in den USA versuchte er schliesslich ohne Papiere in Begleitung der ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko über Polen in die Ukraine einzureisen, wo er jedoch festgenommen und nach Polen zurückgeschoben wurde, währenddessen ihn ein Gericht in Tiflis in Abwesenheit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilte.

Trotz der Aussicht auf die neuerliche Verleihung der ukrainischen Staatsbürgerschaft durch den neuen Präsidenten Selenskyj, der ihm 2020 angeblich sogar das Amt als stellvertretender Premierminister angeboten hatte, kehrte Saakaschwili 2021 völlig überraschend zur Kommunalwahl nach Georgien zurück, wo er sogleich festgenommen wurde und seither mehrmals mittels Hungerstreiks gegen seine Inhaftierung protestierte. 

Versuche des ukrainischen Präsidenten Selenskyi, ihn freizubekommen, scheiterten bisher aber am Widerstand der gegenwärtigen georgischen Präsidentin.

Obwohl der Genannte den ehemaligen österreichischen Generalsekretär des Europarates, Walter Schwimmer, einen „unverschämten und gut bezahlten Bürokraten“ genannt hatte, zögerte das Aussenministerium nicht, seine neue Schwarzmeerstrategie zu implementieren, die letztlich zum Status eines EU-Beitrittskandidaten für das ebenso wie die Ukraine immer wieder von politischen Verwerfungen gebeutelte Land führen sollte.

Die Verlockungen des über Pipelines zum Schwarzen Meer und Mittelmeer über georgisches Territorium gepumpten schwarzen Goldes aus Aserbaidschan waren doch zu verführerisch, um der Versuchung zu widerstehen, neues Futter für die österreichische und deutsche Industrie zu gewinnen.

Dass zum krönenden Abschluss der genialen Strategie des Aussenamtes der einbalsamierte Leichnam des Josef Dschughaschwili, der sich Stalin nannte, nach dem Ende des Krieges gegen Russland aus seiner Nekropole an der Kremlmauer in seine georgische Heimat überführt werden soll, ist allerdings bloss ein Gerücht und entbehrt jeder Grundlage. So weit wolle man in Österreich und Deutschland dann doch nicht gehen!